Wolfram Malte Fues – In alternder Luft
Avantgardistische Expeditionen
Wolfram Malte Fues ist nicht nur ein prägnanter Denker, sondern auch ein Phänomen. Seine Interessen sind so vielfältig, dass man den in seinen Publikationen gelegten Spuren nur immer wieder staunend folgen kann. Grundlegende Arbeitsgebiete des Philosophen sind Moderne Ästhetik, Postmoderne, Neue Medien und Wissenschaftstheorie. Sein zeitkritischer Essayband »ZWEIFEL« (2019) kann jedem, der gern Zweifel hegt als Lektüre empfohlen werden. Die Themen sind darin so breit aufgestellt wie das Wissen dieses kenntnisreichen kritischen Rationalisten.
Mit der gleichen Akribie geht Wolfram Malte Fues in seiner Lyrik zu Werke. Diese ist selbst für geübte Lyrikleser nicht selten eine Herausforderung im besten Sinne. Es lohnt sich jedoch, den avantgardistischen Expeditionen Fues‘ zu folgen und die aufgerissenen poetischen Räume mit eigener Lebens- und Leseerfahrung zu füllen. Manfred Pabst (NZZ am Sonntag, 02.02.2020) wies anlässlich Fues‘ Gedichtband »Unsanfte Bilder« (2019) auf Schönheiten aber auch Gefahren dieser Poesie hin: Fues bringe »die Sprache in ihrer Materialität zum Leuchten«. Farbe, Form, Klang und Bedeutung überlagerten sich zu komplexen Gebilden, die nie stillstehen. Ausgefallene Wortschöpfungen und Wortkombinationen führten unsere Wahrnehmung aufs Glatteis, kleinste Veränderungen brächten die Übereinkünfte des Verstehens ins Gleiten und Rutschen, Wortfelder erwiesen sich als »vermintes Gelände«.
Der neue Gedichtband bestätigt diese Erfahrungen mit Fues‘ Poesie. Wer »In alternder Luft« nur den Schwanengesang eines gealterten Dichters erwartet, sieht sich beim Hineinlesen eines anderen belehrt. Die Gedichte sind im Jetzt verankert, sind weniger Abgesang als Streitschriften. Reflexionen über das Neusprech und die Neuen Medien finden sich in zahlreichen Texten. Schon im Eröffnungsgedicht Jetzt. Dreht sich simuliert ein Smartphone den Gesang der Vögel. Im Gedicht Like and Dislike schnippen die Klickfinger und wedelt der »Schwanz vom Schlosshund der week-end-queen / den Schnee von morgen ins Meinungsbild« und ist vom medialen Shit-storm die Rede.
Die Texte des Bandes berühren nahezu alle Themen, die auch den Philosoph und Wissenschaftler zu Widerspruch oder Einlassung anregen. Im Gedicht Mind-mapping (? rückschauende geistige Kartierung eigener Lebenserfahrung ?) werden die »Leerzeichen« »Kerbe für Kerbe schnitt- / spürig schmerzsüchtig schärfer / schlitzen / das Vielleicht / zwischen heute und heute / spinnen E-Garn für Fadenschein ab ...« Das Gedicht endet mit dem Wort »nachtdenklich«. Neologismen wie »schnittspürig« und »nachtdenklich« provozieren Bilder, erweitern den poetischen Raum und bieten dem Leser die Möglichkeit, sein eigenes Leben ins Gedicht zu bringen.
Das Gedicht ReHa pendelt zwischen religiöser und soziologischer Konnotation: »Streichriemen, heiliges Oel / Schaumschale, Weihrauch, Blutstein / ArGe ALZ ...« Wortspiele nähren die Lust am Text: »Jung / ist die Welt, in Erwartung / der Fermate von Messe zu Messer / schön wie am ersten Tag / nach dem letzten ihrer Erschöpfung // öffnen sich alle Türen / auf der fugenlos folgenlos / zertifizierten Erde ...«
Im Subtext des Gedichts Das Wort zum Tag schimmert Medienkritik auf: »Das Wort zum Tag für die Wort- / Klone von Tagen. Das Band / bauscht sich zum Fuchsschweif / mascht ihn nach innen. Es / bindet Worte an Tage, von denen / das Wort zum Tag kein Wort / hören will. // … // Etymfäule. Wortwuchs / während der werdende Tag / unter die Lautdecke schlüpft / wortloses Glück / von den Rändern über sich ziehend.«
Einige Gedichte finden Anknüpfungspunkte in der Geschichte – wie Louis Auguste Blanqui oder Spanien erinnernd. Das Gedicht Der Vogelfelsen der historia naturalis erinnert an eine der frühesten Reaktorkatastrophen (Sellafield 1957). Im Gedicht Weinland vom Ende der Welt tauschen »Glückshändler Sinnfänger Zwielicht-Propheten / die Enden der Welt um die Wenden der Welt / zu buchstäblich wechselnden Kursen.«
»In alternder Luft« ist eine geistige Achterbahnfahrt durch die Räume von Poesie, Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Fues überlässt jedoch bei aller Weite der Themen und Perspektiven nichts dem Zufall. Die Gedichte sind bis ins kleinste Detail durchdacht und ziehen den Leser beim Mehrmals-Lesen immer tiefer in das Denken des Autors hinein. Wie die Essays, stellen auch die Gedichte von Wolfram Malte Fues Fragen in den Raum und enthalten sich einer Antwort. Es werden keine Behauptungen aufgestellt, es wird kein Kanon angeboten. Eher ist es eine Aufforderung, neu zu denken – vorwärts und rückwärts.
Der Band ist mit Monotypien der Dresdner Künstlerin Jana Morgenstern ausgestattet, die kongenial neben den Gedichten stehen.
Wolfram Malte Fues: »In alternder Luft«, Gedichte, Lyrik Edition 2000, Allitera Verlag, München 2024, 96 Seiten, 20 €, ISBN: 978-3-96233-423-9.
Eine Kooperation des Literarische Arena e. V., der Museen der Stadt Dresden und der Ev. Akademie Sachsen
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Pro Helvetia
Eintritt: 6 € / ermäßigt 4 €
Sagen, was weh tut
Lesungen und Diskussionen zum 30-jährigen Bestehen der Dresdner Zeitschrift OSTRAGEHEGE
Im Herbst 1994 wurde die Dresdner Zeitschrift OSTRAGEHEGE gegründet, deren erste Titelblätter noch »Das Große Gehege« von C. D. Friedrich zierte. In 30 Jahren hat sich die Zeitschrift im deutschsprachigen Bereich zu einem einzigartigen Raum für literarische und künstlerische Positionen entwickelt.
Kunst erwächst aus Widerspruch und Zweifel. In vielen Texten und Interviews zeigt sich, wie Autoren oder Künstler um ihre Stimme kämpfen – gegen äußere Widerstände wie Mehrheitsmeinungen, Autoritäten und sprachliche Regulierungen, und gegen innere Widerstände und Zweifel. Autorinnen, deren Schreiben von Mehrsprachigkeit und Exil geprägt ist, Schriftsteller mit dissidentischer Erfahrung, wache Geister und kritische DenkerInnen scheuem sich nicht zu »Sagen, was weh tut«, denn dies ist nicht nur die Überschrift eines der unzähligen abgedruckten Interviews, sondern ein Bekenntnis.
Mit Beiträgen von
- Marcel Beyer
- Thomas Böhme
- Róža Domašcyna
- Mátyás Dunajcsik
- Carl-Christian Elze
- Iryna Fingerova
- Ulf Großmann
- Jayne-Ann Igel
- Dieter Krause
- Birgit Kreipe
- Jan Kuhlbrodt
- Gregor Kunz
- Andreas Reimann
- Tereza Semotamová
Eintritt: 10 € / ermäßigt 8 €
Eine Kooperation des Literarische Arena e. V., den Museen der Stadt Dresden und der Ev. Akademie Sachsen
Mirko Bonné: Oscar Wilde und andere Sterne
»Weltliteratur von Oscar Wilde kongenial neu übersetzt von Mirko Bonné«
In Mirko Bonnés neuem Roman »Alle ungezählten Stern« tritt eine junge Frau namens Holly Magenta urplötzlich in das Leben des kranken Benno Romik. Magenta zählt zu einer Gruppe von »Zertrümmerfrauen«, die sich infolge des G-20-Gipfels radikalisierten: »Je näher Dr. Romik die 21-jährige kennenlernt, desto mehr wird er in ihre Welt verwickelt. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit.« Der Tagesspiegel nennt dieses Buch »ein Meisterwerk im Fach Gesellschaftsprosa, dessen Leitmotive kaum zu einem passenderen Zeitpunkt durchgespielt werden können.«
»Weltliteratur von Oscar Wilde kongenial neu übersetzt von Mirko Bonné«, schrieben die Rezensenten Anfang des Jahres, als unter dem Titel »Aus der Tiefe« der lange Gefängnisbrief des Dichters des »Dorian Gray« herauskam. Gegen den prüden viktorianischen Zeitgeist setzte Wilde seinen Dandyismus, die Feier der diesseitigen Freuden bis hin zur Verschwendung. Es folgte der Absturz ins Bodenlose: Ein öffentlicher Prozess, in dem er zur Unperson gemacht wurde. »Aus der Tiefe« ist eine erschütternde Geschichte von verratener Leidenschaft und eine unvergleichliche Liebeserklärung. In dem Band enthalten sind weitere Briefe aus dem Gefängnis sowie die »Ballade vom Zuchthaus Reading«.
Eine Abend über Romane, Gedichte und den großen Oscar Wilde!
Eintritt: 6 € / ermäßigt 4 €
Literaturforum Dresden e. V. in Kooperation mit den Museen der Landeshauptstadt Dresden
Gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.
Gefördert von der Landeshauptstadt Dresden.
Sujata Bhatt liest Gedichte
»Große Gefühle, so lakonisch hingemalt wie von Raymond Chandler.« Petra Höfer, taz
Special Guest: Michael Augustin
»meine Heimat deckt sich / mit keiner Geographie«, schreibt Sujata Bhatt in einem ihrer Gedichte. Sie, die aus Nordindien stammt, lange Zeit in den USA lebte und heute in Bremen wohnt, hat ihre Muttersprache aufgegeben, um auf Englisch zu schreiben. Kaum eine zeitgenössische Dichterin hat eindringlicher über den Verlust von Sprache und Heimat nachgedacht, über die Schönheit und den Schmerz, andersartig zu sein. Ihre weltumspannende Poesie sprengt die Grenzen von Sprachen und Ländern, verbindet die Weite der nordfriesischen Landschaft mit der Sehnsucht nach dem blauen Mohn des Himalaja.
Keiner kennt die Gedichte von Sujata Bhatt besser als der in Lübeck geborene Schriftsteller Michael Augustin, der viele Jahre lang als Redakteur und Autor für Radio Bremen gearbeitet und dort wunderbare Sendungen über die Poesien der Welt betreut und produziert hat. Wenn Augustin nicht gerade auf Reisen ist, lebt er in Bremen. Seine Bücher mit Lyrik und Miniaturen sind in viele Sprachen übersetzt worden. Augustin gibt an diesem Abend Einblick in das lyrische Werk von Sujata Bhatt und liest auch einige eigene Texte.
Moderation: Volker Sielaff
Literaturforum Dresden e. V. in Kooperation mit den Museen der Landeshauptstadt Dresden
Gefördert von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. Diese Maßnahme wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes. Gefördert von der Landeshauptstadt Dresden.
Lesung und Gespräch auf Englisch und Deutsch.